My -urban – Wilderness Residency
+ Seedbank of Love & Stories
Eigentlich will ich ja die ganze Zeit schon draußen schlafen. Erfahren, wie ich der Natur (welcher eigentlich?) näherkommen kann in meiner Arbeit. Hab nur noch keine Ahnung wo und wie. Da lädt mich die Künstlerin Regina Baierl ein, mit meinem Projekt Seedbank of Love & Stories in den Streitfeld-Projektraum zu Gast zu kommen. Ok, die “Seedbank” will ich eh mitnehmen in die Wildnis – als bekannten und immer wieder neuen Ablauf, als Struktur und als guten Anlaß, zu bestimmten Zeiten auch Menschen zu treffen – ein “punto di riferimento”. So findet meine erste “Wilderness residency” im Streitfeld Projektraum statt. Und wer weiß – für’s erste Mal draußen Schlafen ist indoor vielleicht gar nicht so schlecht …
Zu den Öffnungszeiten sind die Besucher eingeladen, in der “Seedbank of Love & Stories” einen Stein zu tauschen. Man kann einen Stein mit seiner eigenen Geschichte mitbringen oder diesen auch vor Ort finden. Größe des Steines: so groß, daß er gut in eine Hand paßt.
Lieben Dank an meine Patin Regina Baierl
Streitfeld-Projektraum ist eine Initiative von Genius Loci e.V. gefördert vom Kulturreferat der LH München.
Ausgangssituation – Projektaufbau (Presseinfo)
Mit ihrer Arbeit “My urban Wilderness Residency – Seedbank of Love & Stories @ Streitfeld” nimmt Anja Uhlig das Angebot vom Streitfeld Projektraum an, vor Ort nicht einfach eine fertige Arbeit “auszustellen”, sondern einen Arbeitsprozeß zu eröffnen, dessen Ausgang noch nicht vorhersagbar sein muß.
Grundidee der Arbeit ist einerseits die Vision der “Wilderness Residency”, also die Idee, sich (in der Natur – wenn ja, in welcher?) soweit auf einen Ort einzulassen, daß er die eigene Arbeitsweise mitbestimmen kann und beginnt, der eigenen Arbeit zuzuarbeiten. Der Aufbau im Projektraum ist dabei skizzenhaft, die Auswahl der Materialien streng: einerseits werden reines Baumaterial und pragmatische Gegenstände verwendet, welche nur eine grundsätzliche Raumstruktur festlegen und Funktionalitäten ermöglichen, um mit dieser Struktur arbeiten zu können – ähnlich einem Aufbau für einen animierten Film, wo nur die Grundstrukturen gesetzt sind und die eigentlich “Animation” des Films später digital realisiert wird. Andererseits kommen Materialien zum Einsatz, die direkt im Umfeld des Streitfeld gefunden werden, das können von Menschen abgelegte Dinge sein – oder auch natürliches “Material”, wie das Laub der Hainbuche beim Streitfeld.
Gleichzeitig kommt mit der “Seedbank of Love & Stories” ein Projekt mit ins Spiel, das an anderen Orten schon erprobt ist – und dabei immer noch und immer wieder dabei ist, seine Abläufe zu überdenken und zu überarbeiten: das Projekt “Seedbank of Love & Stories” entsteht 2016 im und mit dem Postamt von Doohoma, einem kleinen Ort an der Nordwestküste Irlands. Die Idee ist, mit der “Seedbank” dieses Postamt als Austauschort für Geschichten sichtbar zu machen und Menschen einzuladen, “sichtbar” (also nicht nur durch’s flüchtige Erzählen) ihre Geschichten zu tauschen, die dann in 144 großen Gläsern verwahrt werden. 2018 allerdings wird das Postamt geschlossen – und mit ihm die “Seedbank”. 2019 wird das Projekt nach München geholt und muß nun – von seinem ursprünglichen Ort entwurzelt – eine neue Struktur finden. Das Sprichwort “In Irland erzählen sogar die Steine Geschichten” hilft weiter – und statt der Geschichten werden nun Steine getauscht, und der neue Ablauf erprobt und verfeinert sich während der Arbeit mit dem Projekt bei ersten Präsentationen in Gräfelfing und München. “Seedbank of Love & Stories @ Streitfeld” baut auf diesen Erfahrungen auf, entwickelt gleichzeitig den Ablauf des Projektes weiter und lädt die Besucher ein, selber teilzunehmen und diesen zusammen zu erproben.
Zwischen diesen beiden Polen – also einerseits dem Versuch, sich auf einen Ort so einzulassen, daß er beginnt, der eigenen Arbeit zuzuarbeiten und im besten Falle die ihm innewohnende Magie zu offenbaren – und andererseits der Arbeit mit dem bestehenden Projekt, welches gepflegt, weiterentwickelt und vertreten werden möchte und zum Mitmachen einlädt – bewegt sich Anja Uhlig mit ihrer “Residency” im Streitfeld Projektraum.
Süddeutsche Zeitung, Sa./So. 31.Okt./01. Nov. 2020, von Jutta Czeguhn
In ihrem Artikel “Laub, Steine und Kerben” beschreibt Jutta Czeguhn nicht nur das geplante Abenteuer in der städtischen “Wildnis”, sondern geht auch ausführlich auf die Geschichte der “Seedbank of Love & Stories” ein – denn natürlich beginnt diese nicht erst in Irland …
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Blog – Projektbericht
Der “Blog” entsteht auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung als wir erfahren, daß die Öffnungszeit am zweiten Wochenende wegen Covid nicht möglich sein wird:
Fr-So 30. Okt.-01. Nov. – Öffnungszeiten und Öffentlichkeit
In den 3 Tagen Öffnungszeit werden über 20 Steine getauscht und jeder Tausch wird mit einer Zeichnung dokumentiert – eine Unterschrift von Gast und Stein:
Sonntag Abend – Montag Früh, 01./02.11.2020
Allein im Streitfeld Projektraum. Meine eigentliche Wilderness Residency beginnt. Versuche einer Struktur – Erwartungen – Gedankensammlung ….
Montag, 02.11.2020
Mein Plan für die kommenden Tage: Ich halte einfache Abläufe ein. Den Projektraum verlasse und betrete ich nur über die Aussenleiter. Ich fotografiere mit Sofortbild die Igel-Höhle am Baum gegenüber (in die noch kein Igel eingezogen ist). Und mache Zeichnungen. Ich probier rum. Mit den Steinen der Seedbank. Die Igel Höhle macht mir Mut. Sie war schließlich auf meiner Erwartungsliste.
Dienstag, 03.11.2020
Ich sitze an meinem Baum. Wie gestern. Es ist warm heut. Wie kann ich diesem Ort näherkommen? Die zwei Tauben sind wieder da. Ich hab ihnen gestern bißchen Keks von der Eröffnung gegeben. Ein Mini-Grashüpfer fällt in meine Kaffee-Tasse.
Später. Ich versuch, ruhig zu sein – herausbekommen, wie ich mit diesem Ort hier arbeiten kann. … wie macht man das? Um mich rum ist einiges los im Haus … .
Okay, Ich gehorche.
Später setz ich mich innen unter mein Laubbett. Ich schließe die Augen. Versuche, dem Ort da draußen näher zu kommen, oder vielleicht der Hainbuche, an deren Stamm ich nun seit 2 Tagen sitze (ist das vielleicht zu kurz ?). Keine Ahnung. Nach einiger Zeit öffne ich die Augen. Und ich seh den Treibgutstab, den ich bei den Vorbereitungen für diese Residency an der Isar gefunden habe. Genius Loci für einen Raum mit 2,90 m Deckenhöhe ( oder Genius Loci für den Streitfeld Projektraum ? ) habe ich ihn genannt (und Regina hat gelacht und gesagt “das versteht außer dir kein Mensch!”):
Es ist ein Donnerstag im September, abends an der Isar. Ich sitze an diesem Grasbüschel, schau ins Wasser, höre das Rauschen – und denke über meine kommende Wildnis Residency im Streitfeld-Projektraum nach. Viel später mache ich mich auf den Heimweg. Sehr dunkel ist es und sehr still – kein Grillenzirpen, kein Vogel, kein Rascheln. Später erst erfahre ich, daß Neumond ist. Langsam geh ich durch die Dunkelheit …. Da liegt ein großer Treibgut-Ast neben dem Weg. Trotz der Dunkelheit schimmert er hell – wie eine große Schlange liegt er da. Ich schau ihn mir lange an – und nehm ihn mit. Keine Ahnung – irgendwas muß er mit dem Streitfeld-Projektraum zu tun haben. … Kann es sein daß ….. ? Ein paar Tage später frage ich Regina, wie hoch der Streitfeld Projektraum ist. Sie sagt 2,90 m. Ich messe den Ast. 2,90 m. Von der Spitze bis zu Fuß.
In Wikipedia lerne ich: “Der lateinische Begriff genius loci bedeutet wörtlich übersetzt „der Geist des Ortes“. Mit Geist war in der römischen Mythologie ursprünglich ein Schutzgeist (Genius) gemeint, der häufig in Form einer Schlange dargestellt wurde.”
Ich bringe den Stab am Sonntag Abend vor dem Aufbau her und weiß noch nicht, ob er wirklich im Raum stehen wird. Am Montag vormittag (26.10.2020) ist es das erste, was ich ausprobiere: ich hole den Stab, und gehe mit ihm an eine beliebige Stelle im Raum. Er richtet sich auf, kratzt an der Decke – und steht. Millimetergenau eingeklemmt zwischen Decke und Boden – und es geht genau an dieser einen Stelle. Zufällig hab ich ihn gefunden – und nun steht er hier in diesem Raum, von allein – ich bin so berührt. Fühlt es sich so an, der Magie der Welt zu begegnen?
Als ich jetzt meine Augen öffne, da sieht es im Gegenlicht aus, als ob sich der Stab bewegt. Er vibriert, als ob er mich erinnern will: “Wie kannst Du in diesem Raum sein, in dieser Situation, die dich vor einer Woche noch zu Tränen berührt hat – und fragen, was du tun kannst?” Und ich kapier: die schönste Arbeit, die ich grad in und mit diesem Raum tun kann, die ist schon da. Und ich hab noch nichtmal was tun müssen dafür. Hier steht er – von allein. Und ich kann nur vor ihm, dem “Genius Loci”, sitzen. Und staunen. Und mich freuen. Und einen kurzen Moment an die Magie in der Welt glauben.
DANKE AN
das Team von Genius Loci e.V. für den Projektraum. Claudia Pescatore + Katharina Weishäupl + rasso rottenfusser für ihre tatkräftige Beratung und Unterstützung. Allen Gästen, die kamen und sehr oft auch einen Stein getauscht haben – und für die Geschichten, die dann doch dabei erzählt wurden. Und last but not least an meine AMIGOS-Patin und Gastgeberin Regina Baierl für ihre Einladung, ihre Geduld, ihr Vertrauen, ihre Begeisterung, ihre Zuarbeit und Hilfe + Cremant + … + … + …
Beteiligte Arbeiten
Die Seedbank
-> Dú Thuama
Projekt – seit 2016
Genius Loci
realisiert im und mit dem
Streitfeld Projektraum
My Wilderness Residency
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